Liebe singfreudige Gottesdienstgemeinschaft!
Wir proben heute zwei neue Lieder ein. Einerseits das schon geübte, frische, poppige Lamm Gottes GL 715/4, andererseits das Lied Gotteslob 414 mit einem wunderschönen Text. Manche werden sich denken: „Oh, schon wieder neue Lieder“. Ich steh allerdings dazu, dass wir unseren Liedkanon in Sprache und Melodie erneuern.
Keiner spricht mehr im Alltag - sowohl inhaltlich als auch vom Ausdruck her - so wie vor 300, 400 Jahren, daher ist es meiner Meinung nach nur recht und billig, dass wir uns in unseren Liedern, die wir ja auch vor Gott darbringen, der Sprache und des Verständnisses von heute bedienen – durchaus neben der Pflege des alten Liedgutes.
Wenn ich an die – im Vergleich zu anderen Pfarren – relativ große Zahl jüngerer Mitfeiernder in unseren Gottesdiensten denke, gerade auch in den Ostertagen, so ordne ich einen kleinen Teil dieser Tatsache der Wahl zeitgemäßer Messlieder und Texte zu.
Die Teilnahme so unterschiedlicher Menschen an unserer Glaubens - und Feiergemeinde fällt nicht vom Himmel. Unser Glaube an Jesus Christus muss für heutige Menschen Relevanz haben, das heißt, sie müssen einen Sinn finden, an unserer Gemeindefeier und somit an dem großen Geschenk der Eucharistie teilzunehmen. Wir wollen ja gestärkt, ermutigt, neu fragend aus unserer Kirche hinausgehen.
Dazu braucht es auch Lieder und Texte, die das mitbewirken können. Bestätigt hat mich in diesem Punkt unser Bischof, der während der Begegnungstage ja einige Messen mit uns gefeiert hat und der sich neben einigem anderen Lob über unseren Feierritus mit den Worten: „Ihr singt so schöne, sinngebende Lieder – und so viele singen mit “, positiv zu unserer Musikgestaltung geäußert hat.
Ein gutes Beispiel für das, was ich meine, stellt auch das Lied 414 im Gotteslob dar – bitte aufschlagen:
Es beschäftigt sich genau mit der Frage, die das heutige Evangelium abhandelt, nämlich die Tatsache, wie wir Jesus, Gott wahrnehmen können. Herr, wie bist du bei uns zugegen – heißt es im Liedanfang.
Liedprobe – 1. Strophe!
Für die versammelten Jünger ist die Person Jesus Christus konkret zugegen, und mit seinem Friedenswunsch fühlen sie sich gesendet, das Reich Gottes in die Welt zu tragen.
Thomas, der nicht da ist, kann – wie wir in der Schrift hörten - diese Sendungsbotschaft, diese Jesusbegegnung nicht nachvollziehen, und holt jene tiefe persönliche Nähe zu Jesus in einer nächsten Begegnung nach. Und Jesus sagt ja zu ihm: Weil du mir begegnen konntest, glaubst du.
Es gibt Theologen, die meinen, der Evangelist Johannes richtet sich mit dieser Geschichte viele Jahrzehnte nach Jesu Tod genau an jene Menschen, die Jesus nicht mehr erleben konnten, er versucht zum Glauben zu motivieren, indem er Jesus sagen lässt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“.
Und genau in der Situation sind auch wir in unserer Zeit, in unserer Feier.
Einerseits: Wir können Jesus nicht angreifen, ihm nicht persönlich begegnen. Andererseits sagen wir: Jesus, Gott ist da in unserer Mitte, jetzt und in vielen unserer Lebenslagen.
Ein Seher/eine Seherin muss nicht unbedingt etwas Materielles sehen, um etwas zu spüren, wahrzunehmen. Wir können Jesus spüren und wahrnehmen, wenn wir vertrauen, dass er in uns wohnt.
Wir begegnen Jesus in unseren Gedanken, so wie wir Menschen im Gedanken begegnen können!
Wir schöpfen Kraft, indem wir Jesus, Gott ganz bewusst in unserem Innersten definieren. Meister Eckhart erklärt das so: Gott ist mir näher als ich mir selber bin, mein Wesen hängt daran, dass Gott mir nahe und gegenwärtig ist.
Und als Muvo Chor haben wir Theresa von Avila am Karfreitag zitiert, indem wir sangen: Nichts soll dich ängstigen, nichts beunruhigen, Gott ist immer bei dir, Gott allein genügt.
Und unser Lied 414 greift genau diese Zuversicht auf, die Johannes mit der Geschichte von Thomas vermitteln will: Du musst Gott nicht sehen, damit du ihn siehst, du musst Gott nicht angreifen, damit du ihn spürst, du darfst dich ganz und gar in Gott geborgen fühlen, Jesu Auferstehung findet in dir und mit dir statt.
Trotzdem ist dieses Lied von Huub Oosterhuis nicht das Lied eines über alle Zweifel erhabenen, sondern eines Menschen, für den trotz oder gerade wegen seines Glaubens viele Fragen bleiben. Das Lied beginnt ja auch mit einer Frage!
Wir alle sind in unserem fragenden Glauben Thomas verwandt, wir alle sind in der Hoffnung, einmal voll Staunen dieses „Mein Herr und mein Gott“ aussprechen zu dürfen.
Bevor wir das Lied nun singen, lesen wir genießend den Liedtext gemeinsam.
Herr, unser Herr, wie bist du zugegen
Herr, unser Herr, wie bist du zugegen
und wie unsagbar nah bei uns.
Allzeit bist du um uns in Sorge,
in deiner Liebe birgst du uns.
Du bist nicht fern, denn die zu dir beten,
wissen, dass du uns nicht verlässt.
Du bist so menschlich in unsrer Mitte,
dass du wohl dieses Lied verstehst.
Du bist nicht sichtbar für unsre Augen,
und niemand hat dich je gesehn.
Wir aber ahnen dich und glauben,
dass du uns trägst, dass wir bestehn.
Du bist in allem ganz tief verborgen,
was lebt und sich entfalten kann.
Doch in den Menschen willst du wohnen,
mit ganzer Kraft uns zugetan.
Herr, unser Herr, wie bist du zugegen,
wo nur auf Erden Menschen sind.
Bleib gnädig so um uns in Sorge,
bis wir in dir vollkommen sind.
Diakon Franz Hofmarcher