Liebe Gottesdienstgemeinschaft
Selbes Thema wie in der Vorwoche, nur anderer Blickwinkel, könnte man zum heutigen Evangelium bemerken.
Sie erinnern sich? Letzten Sonntag hörten wir das Evangelium vom verlorenen Sohn und diese Woche die versuchte – und von Jesus verhinderte – Steinigung der Ehebrecherin. In beiden Evangelien wird eindrucksvoll und anschaulich herausgearbeitet, wie unterschiedlich wir Menschen einerseits und Gott andererseits Schuld definieren und mit Schuldigen umgehen.
Wie ist es nun im Falle dieser Ehebrecherin? Es ist übrigens bezeichnend, dass es hier nur um die Frau als Ehebrecherin geht und nicht auch um die Frage, wofür sich der Mann, mit dem sie offensichtlich ein Verhältnis hatte, rechtfertigen muss. Aber das ist eine andere Geschichte und tut in unseren heutigen Überlegungen nichts zur Sache.
Also vom Gesetz her ist klar: Todesurteil! Ist dieses Gesetz von Gott gemacht? Nein, natürlich nicht! Es ist ein menschengemachtes Gesetz. Indem sich die Männer auf Mose berufen, wollen sie dieses Todesurteilsgesetz Gott quasi in die Schuhe schieben.
Wir kennen das gut, unter anderem auch aus diversen Filmen mit Gerichtsverhandlungen. Da beruft man sich in Plädoyers, Richtersprüchen, Zeugenaussagen usw. immer wieder auf Gott. Damit wird insinuiert, also nahegelegt, dass unser menschlicher Gerechtigkeitssinn jenem von Gott gleicht oder zumindest von Gott gebilligt wird.
Jesus räumt mit diesen falschen Vorstellungen gewaltig auf. „Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“, sagt er ganz trocken – und siehe da – niemand kann werfen. Ganz logisch, niemand von uns, kein Mensch auf dieser Welt, kann von sich sagen, er sei fehlerlos.
Aber ist es nicht gerecht, Menschen, die schwere Verfehlungen begehen, wie z.B. diese Frau, Menschen, die sich eines Verbrechens schuldig machen, die veruntreuen, die betrügen, die eben schuldig geworden sind, zu einer entsprechenden Strafe zu verurteilen. Wahrscheinlich würde unser ganzes Gesellschaftssystem ins Chaos gestürzt, würden wir nicht über verbrecherische Taten Recht sprechen.
Dass die damalige Rechtsauffassung, dass ein Ehebruch ein Todesurteil zur Folge hat, heute absurd wirkt, ändert nichts an der Tatsache, dass wir nach menschlichem Ermessen, nach gesellschaftlichen Regeln verbrecherische Daten verurteilen müssen. Warum also sagt Jesus zu dieser Frau, als sie nur mehr zu zweit waren: „Auch ich spreche dich nicht schuldig! Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“?
Ich meine, Jesus lebt vor, wie Gott Gerechtigkeit versteht. Für uns Menschen ist es kaum fassbar, was uns Jesus über die Schuldvergebung Gottes präsentiert. Wieso?
Nachdem ich davon überzeugt bin, dass Gott uns Menschen innewohnt - das heißt, er kennt uns nicht nur, er lebt und wirkt in uns und versucht, sich durch uns mitzuteilen - bin ich mir sicher, dass Gott uns Menschen in all unserer Begrenztheit, in unserer Hinfälligkeit übermenschlich liebt.
Er lebt sich aus in unseren Stärken und versucht, uns aus unseren Schwächen heraus zu lieben.
Während der Begegnungstage in unserem Dekanat hat mich genau diese Botschaft unseres Bischofs Alois besonders beeindruckt: Gott liebt die Menschen heraus aus ihren Schwächen, Gott ist so verliebt in seine Schöpfung Mensch, dass ihm keine Verfehlung, keine noch so katastrophale Tat davon abbringen könnte, dem Menschen eine positive Zukunft zuzutrauen.
Der Wille Gottes ist immer auf Versöhnung ausgerichtet, das heißt, es zählt nicht, was war, vielmehr nimmt Gott die positiven Möglichkeiten des Menschen immer und immer in den Blick. Er glaubt an die Menschen in einer Weise, wie wir Menschen nie an Menschen – und schon gar nicht an Gott - glauben können.
Genau diesen versöhnenden Glauben Gottes will uns Jesus vermitteln, wenn er der Frau sagt: Geh und sündige von jetzt an nicht mehr. Und wenn wir Menschen dieses Vertrauen, diesen Glauben, diese Liebe Gottes erahnen, spüren, dann geschieht etwas mit uns, dann können wir bisherige Grenzen überschreiten, wir schaffen es aus Verstrickungen auszubrechen, uns von Schuld zu befreien, uns zu versöhnen mit uns und unseren Mitmenschen.
Und genau das wünscht sich der uns innewohnende Gott, genau das will uns Jesus vermitteln und zeigen – an der Geschichte mit der Ehebrecherin ebenso wie an vielen anderen Beispielen. Denken sie an den verlorenen Sohn vom letzten Sonntag, oder an Maria Magdalena, oder an den Zöllner Zachäus, und so weiter.
In diesem Sinn könnte ein Beichtgespräch - aber auch jedes andere gute Gespräch - über die befreiende Wirkung von Gottes Liebe aus all meinen Begrenztheiten, als ein nach vorne gerichteter, positiver Lebensschub dienen. Das Sakrament der Versöhnung - wie wir es bei uns nun in toller Weise nennen - kann in dem Lichte eines Gottes, der uns in eine geglückte Zukunft hinein lieben will, eine präventive therapeutische Wirkung haben.
Von den physiotherapeutischen Behandlungen bei körperlichen Problemen wissen wir aber, wie wichtig es ist, dran zu bleiben, einzuüben. Das heißt unter anderem, immer wieder im Gespräch mit diesem liebenden Gott zu bleiben. Dann werden sich die positiven Wirkungen im Heilen von Verletzungen der Seele rascher und nachhaltiger zeigen können.
Conclusio:
Wir können als menschliche Gesellschaft nicht einfach alle Rechtsprechung beiseitelassen, alle Verbrechen begnadigen. Was wir aber können, ist zusätzlich dazu, mehr Elemente der Rechtsprechung im Sinne des liebenden Gottes in unser Zusammenleben einfließen zu lassen. Anstatt mit Steinen zu werfen, können wir versuchen, die Menschen aus ihren Verfehlungen heraus zu lieben. Z.B. (Ministrantinnen legen Steine vor den Altar)
Indem wir uns um wirkliche Verzeihung und Versöhnung nach einem Streit bemühen.
Indem wir Menschen ihre Schuld nicht endlos nachtragen (sic!)
Indem wir Schwierigkeiten miteinander in möglichst achtsamer, liebevoller Weise ansprechen.
Indem wir uns bewusst für Menschen interessieren, die Außenseiter der Gesellschaft sind.
Indem wir noch so kleine Bemühungen von Mitmenschen wahrnehmen und dankbar annehmen.
Solche und noch viel mehr dieser Formen der Rechtsprechung stehen in keinem menschlichen Gesetz. Wir dürfen, sollen sie präventiv als Liebesbeweis Gottes weiterschenken.
Diakon Franz Hofmarcher